09.06.2025

Wartezeit - auch fürs BEM?

LAG Köln, Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24

Ein Arbeitsverhältnis beginnt oft mit einer Phase der Erprobung – rechtlich abgesichert durch die sogenannte Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG. Innerhalb dieser ersten sechs Monate können Arbeitgeber grundsätzlich ohne Angabe eines Kündigungsgrundes kündigen, da der allgemeine Kündigungsschutz noch nicht greift. Doch wie verhält es sich mit den besonderen Schutzrechten schwerbehinderter Menschen, etwa dem Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX oder dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX?

Das LAG Köln hat mit seiner Entscheidung vom 12.09.2024 klargestellt: Diese Schutzmaßnahmen müssen unabhängig von der Wartezeit durchgeführt werden – ein deutliches Signal für mehr Rechtsklarheit im Umgang mit schwerbehinderten Arbeitnehmern.

Der Sachverhalt

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer wurde noch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG gekündigt. Zuvor hatte die Arbeitgeberin weder ein Präventionsverfahren eingeleitet noch ein bEM durchgeführt. Der Betroffene sah hierin eine Diskriminierung wegen seiner Behinderung (§§ 1, 7 AGG) und berief sich auf das Fehlen der vorgeschriebenen Präventionsmaßnahmen.

Die Vorinstanz – das Arbeitsgericht Köln – gab ihm Recht. Das LAG Köln bestätigte dieses Urteil nun ausdrücklich und widersprach damit der bisherigen Linie des Bundesarbeitsgerichts (BAG), das eine Anwendung des § 167 Abs. 1 SGB IX in der Wartezeit bislang abgelehnt hatte.

 

Die Entscheidung des LAG Köln

Nach Auffassung des LAG Köln ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Schutzzweck des SGB IX, dass das Präventionsverfahren unabhängig vom Bestehen der Wartezeit verpflichtend ist. § 167 Abs. 1 SGB IX enthält keine zeitliche Einschränkung. Ebenso wenig ist eine solche Einschränkung dem Gesetz systematisch zu entnehmen. Vielmehr verfolgt das Präventionsverfahren das Ziel, auftretende Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und gemeinsam mit dem betroffenen Arbeitnehmer, der Schwerbehindertenvertretung und anderen Beteiligten Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten.

Auch das BEM ist – wie das Gericht betont – nicht an das Bestehen eines allgemeinen Kündigungsschutzes gebunden. Es ist immer dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX erfüllt sind, also insbesondere eine längere Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

Die Nichtdurchführung dieser Maßnahmen kann, so das Gericht, ein erhebliches Indiz für eine diskriminierende Kündigung darstellen – mit entsprechenden Rechtsfolgen nach § 22 AGG. Zwar sei die Kündigung trotz fehlender Prävention nicht automatisch unwirksam, jedoch werde dem Arbeitgeber eine verstärkte Darlegungslast auferlegt: Er müsse nachweisen, dass die Kündigung nicht auf der Behinderung beruht, sondern sachlich gerechtfertigt war. Innerhalb der Wartezeit kann dieser Beweis zwar leichter gelingen – etwa durch Hinweise auf Leistungsdefizite oder mangelnde Eignung –, doch bleibt das Risiko für Arbeitgeber bestehen.

 

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Köln hat erhebliche Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Praxis:

Für Arbeitgeber bedeutet sie, dass präventive Maßnahmen wie das Präventionsverfahren und das BEM auch dann nicht vernachlässigt werden dürfen, wenn das Arbeitsverhältnis noch jung ist. Gerade in sensiblen Fällen – etwa bei bekannten gesundheitlichen Einschränkungen oder häufiger Arbeitsunfähigkeit – sollten Arbeitgeber bereits in der Probezeit aktiv werden. Wer darauf verzichtet, riskiert prozessuale Nachteile und mögliche Benachteiligungstatbestände.

Für Arbeitnehmer, insbesondere mit Schwerbehinderung, ergibt sich ein gestärkter Schutzanspruch: Auch innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses bestehen Ansprüche auf Beteiligung und Unterstützung im Sinne des SGB IX. Frühzeitige Beratung und Geltendmachung von Rechten sind daher empfehlenswert.

Zudem eröffnet das Urteil die Möglichkeit, das AGG mit seinen Beweiserleichterungen gezielt einzusetzen, wenn der Arbeitgeber keine ausreichenden Anpassungsmaßnahmen trifft. Arbeitgeber tun also gut daran, ihre internen Prozesse rechtzeitig auf diese Anforderungen auszurichten – auch aus Compliance-Gründen.

 

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